Reet ist so lange Natur, bis es auf das Dach kommt
Zum Mittagessen geht es nach Hause, die Wege sind ja nicht weit auf der 12 km langen und 6,8 km breiten Nordseeinsel. Frau Nielsen hat noch im Büro zu tun – ihr Revier im Familienbetrieb. Zwei Töchter studieren auf dem Festland, die Dritte ist in Ausbildung. Ob sich da schon eine Anwärterin für die Übernahme des Betriebs gefunden hat? „Leider nein“, bedauert Norbert Nielsen. Nur zu gerne würde er Nachwuchs ausbilden, die Suche war bisher nicht erfolgreich. „Bleibt mir also nur die Hoffnung, dass ein künftiger Schwiegersohn Interesse zeigt“, lacht er.
Auf der nächsten Baustelle leuchtet die frisch gedeckte Leeseite des Daches schon golden in der Sonne. Das mannshohe, zu Bündeln geschnürte Schilf kommt mitsamt der Blume (Ähre) aufs Dach und wird anschließend dem Klopfbrett in die richtige Position gebracht. Die Blütenstände verschwinden jeweils unter der nächsten Schicht. Werkzeug braucht Nielsen nur wenig: einen kleinen und einen großen Klopfer, eine Zange, einen Drahtbinder sowie einen Akkuschrauber. Ach ja, und natürlich die schmalen Laufbalken, die – in die Dachsparren eingehängt – das Stehen an der Schräge ermöglichen. Ursprünglich wurden Rohrdächer aufwendig genäht, erfahre ich. Heute hält ein fester, geschraubter Draht das Reet an Ort und Stelle. Natur pur also? „Mitnichten“ klärt Nielsen mich auf. Allein die Witterungseinflüsse lassen Reet zu Sondermüll werden. Derzeit denkt er über eine Möglichkeit nach, abgetragenes Material zur Energiegewinnung zu nutzen. Auf seinem Schreibtisch liege bereits ein fertiges Konzept für eine solche Anlage.
Nielsen schaut auf die Uhr: 17.30 Uhr, Feierabend für sein Team, aber längst noch kein Wochenende für Norbert Nielsen. Samstag ist Bürotag, sagt er. Über die Woche bleibe manches liegen, das muss halt am Wochenende erledigt werden. Ein Fulltime-Job, den man eben nur mit ganz viel Herzblut ausüben kann.