Menschen

Über erdgebundenes Reisen und Flugscham: Ein Gespräch mit Harald Zeiss

Professor Harald Zeiss unterrichtet an der Hochschule Harz. Er ist im Auftrag des nachhaltigen Reisens unter anderem für den deutschen Reiseverband tätig. Wir haben den 51-jährigen zum Thema erdgebundenes Reisen befragt.

von Jana Rauschenbach30.8.2023
Jana Rauschenbach leitet die Redaktionsbereiche bei „Im Grünen“ und 7fridays. Ihre Mission: Mensch und Natur wieder in Einklang bringen.

Moin Harald, ich steige direkt ein. Was bedeutet denn nachhaltiges Reisen?

Da müssen wir ein bisschen ganzheitlicher ran: Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir sorgsam mit Ressourcen umgehen. Wir sollten sie so verwenden, dass sie sich auch regenerieren können. Fossile Energie zum Beispiel wächst nicht nach. Wir verbrennen sie einfach und irgendwann sind die Vorkommen erschöpft. Im Hinblick auf den Tourismus bedeutet das: Ich muss so verreisen, dass auch künftige Generationen verreisen können. Mache ich einen Camping-Urlaub, klappt das – aber weniger gut funktioniert es, wenn ich für drei Wochen nach Neuseeland fliege. Zum einen emittiere ich dadurch sehr viel CO2, zum anderen muss man auch den ökologischen Rucksack berücksichtigen, der entsteht, beispielsweise durch die Herstellung von Metallen für das Flugzeug und Beton für die gesamte Infrastruktur.

Der klassische All-Inclusive-Urlaub auf den Kanaren ist also kategorisch nicht nachhaltig?

Ja, zumindest weniger nachhaltig als der Camping-Ausflug. Aber da kommen wir gleich zu einem fundamentalen Punkt: Wir dürfen uns keiner Illusion hingeben. Wir können aktuell keinen nachhaltigen Tourismus leisten. Selbst der Camping-Urlaub hat noch einen Fußabdruck. Wir sollten also alle Anstrengungen darauf verwenden, unseren Urlaub nachhaltiger zu gestalten und unseren Fußabdruck zu reduzieren und da stellt sich dann der Flug in den All-Inclusive-Urlaub natürlich schlechter dar.

Aus Skandinavien kommt das Wort „Flugskam“ (Flugscham). Wird die Gesellschaft sich so verändern, dass man sich wirklich schämen muss, wenn man nicht nachhaltig agiert?

Jetzt reden wir über die Frage der Motivation. Scham kann eine Motivation sein. Es ist aber nicht die beste Motivation. Ich sollte mir Gedanken machen, ob es wirklich notwendig ist, in ein Flugzeug zu steigen. Ein sorgsamer Umgang mit den Ressourcen sollte uns anleiten und ja, das wird in Zukunft eine Rolle in der Gesellschaft spielen.

„Man muss sich halt mal an die eigene Nase fassen. Jetzt ist der Moment, um mal unseren Lebensstil zu reflektieren.“

Also wäre es zumindest ein Anfang, nur einen Flugurlaub zu machen und den anderen vielleicht erdgebunden, also terran zu unternehmen?

Richtig. Und da steckt auch schon wieder ein neues Thema drin: das eigene Bewusstsein – oder auf gut Deutsch: „An die eigene Nase fassen“. Jetzt ist der Moment, um mal unseren Lebensstil zu reflektieren. Wenn du also sagst: Ich mache das jetzt nur noch einmal im Jahr. Dann kann man dich dazu beglückwünschen. Einige versuchen das andersrum und möchten wissen, was sie sich denn noch leisten können. Und da ist die ehrliche Antwort bitter. Wir sollten nur noch ein Drittel konsumieren. Wir sprechen gern davon, wie viel Erden wir Deutsche verbrauchen und da sind wir aktuell bei fast drei Erden. Also dreimal so viel wie das, was die Erde dauerhaft herstellen kann. Wenn wir diese Situation so global betrachten, dann müssen wir uns unseren gesamten Fußabdruck vergegenwärtigen. Wie ernähre ich mich? Was konsumiere ich? Wo kann ich reduzieren oder genügsamer werden? Aber zwei Drittel meines Konsums zu vermeiden, das ist einer Herkulesaufgabe.

Das macht mich nachdenklich …

Ich rette dich mal schnell. Vorschlag: Nimm deinen Fußabdruck und nimm dir vor, dass du diesen über die nächsten Jahre verringern willst. Immer ein Stückchen mehr. Das ist einfach und bringt richtig viel. Wenn 80 Millionen Deutsche etwas verändern, werden wir das deutlich merken.

Wenn ich mich also entscheide, in Deutschland Urlaub zu machen und mit dem Zug anreise und sogar ein Hotel finde, das bereits beginnt, nachhaltiger zu wirtschaften, habe ich also alles richtig gemacht?

Ja, wenn du dein Verantwortungsbewusstsein mit in den Urlaub nimmst. Den wenigsten gelingt das. Viele führen im Urlaub ein geradezu verschwenderisches Leben mit Essen, Sauna, Handtuchwechsel und Dauerdusche. Das frisst die Vorteile einer nachhaltigen Unterkunft wieder auf. Dabei kann ein Hotel an vielen Stellen nachhaltiger sein als das Leben zu Hause. Es gibt inzwischen viele Häuser, die ihren Strom aus Solaranlagen oder Hackschnitzelanlagen gewinnen. Einige Hotels kaufen regional ein, andere setzen auf gute Isolation und Wasserdurchlaufbegrenzer. Hotels haben sehr gute vegetarische und vegane Alternativen – du kannst also einfach auf Fleisch verzichten. Du kannst kurz duschen, die Handtücher mehrere Tage verwenden und schauen, ob du es im Zimmer wirklich so warm brauchst. Und benötigt man wirklich jeden Tag eine Zimmerreinigung? Ich will aber nicht derjenige sein, der mit erhobenem Zeigefinger Anweisungen gibt. Das muss jeder für sich selbst entscheiden, was im Urlaub nötig ist. Weniger ist aber definitiv mehr.

Aber Du kannst sicher inspirieren. Wie macht denn jemand, der sich wirklich gut auskennt, Urlaub?

Ich mache mir zunächst einfach viele Gedanken. Bei mir reist die Verantwortung mit. Ich mache einen Bogen um Flugreisen – manchmal geht es natürlich nicht anders, gerade auch bei geschäftlichen Terminen. Ich habe kein Auto, fahre also mit der Bahn und entdecke gerade sehr viel in Europa. Es hat mich überrascht, dass man mit der Bahn direkt nach Marseille fahren kann. Jetzt fährt die Bahn auch direkt von Frankfurt bis nach Bordeaux.

Wie kann man denn seinen persönlichen Emissionsabdruck errechnen?

Das Bundesumweltamt hat einen Rechner, das WWF ebenfalls. Man kann dort seinen klimatischen Fußabdruck berechnen aber auch seinen gesamten ökologischen Fußabdruck. Will man sich auf die CO2-Emissionen beschränken oder will man die gesamten Materialien in die Betrachtung einbeziehen, also den Plastikkonsum und so weiter. Man muss sich eben einfach mit der Thematik deutlich mehr beschäftigen. Also zum Beispiel dieses Interview lesen und sich dann ein Stück weit hinterfragen. Wie lebe ich, was esse ich, was trage ich für Kleidung und wie bewege ich mich fort? Es gibt so viele Möglichkeiten, in die Veränderung zu kommen.

Warum fällt es uns nur so schwer? Vielleicht, weil es keine direkte Konsequenz gibt? Es kommt ja auch keiner und gratuliert einem zur Anreise mit den Öffentlichen. Was hat man denn davon?

Das sehe ich ganz anders. Nehmen wir mal an, ich spare Energie. Ich heize nicht viel, ziehe mich wärmer an und sitze bei 16 Grad im Zimmer. Was habe ich davon? Ich spare deutlich Heizkosten. Ich habe meine Glühbirnen gegen LED Lampen getauscht, da spare ich auch auf lange Sicht. Der Urlaub auf den Malediven ist sowieso teurer als der in Deutschland. Und es gibt ja auch gesundheitliche Gründe für einen nachhaltigeren Lebensstil. Vegetarische Ernährung ist zum Beispiel sehr viel gesünder. Wenn ich bei der Mobilität reduziere und vielleicht mehr Rad fahre, mache ich ebenfalls etwas für die Gesundheit. Oder Bahnfahren – das ist entspannt. Natürlich ärgere ich mich bei Verspätungen, aber ich habe längst nicht den Stress, den ich früher auf der Autobahn hatte. Ich bekomme also richtig viele Belohnungen für einen nachhaltigeren Lebensstil.

Was empfiehlst du Leuten als weiteren Einstieg in das Thema?

Das Thema der Nachhaltigkeit ist komplex. Wir haben jetzt viel über die ökologische Nachhaltigkeit gesprochen, aber es kommt ja noch die soziale Nachhaltigkeit dazu. Wer sich für den Klimawandel interessiert, kann zum Einstieg mal das Buch „Machste dreckig – Machste sauber: Die Klimalösung“ lesen. Da sind Zusammenhänge sehr gut erklärt. Es gibt jetzt aber keine fertige Anleitung – es ist einfach wichtig, mitzudenken und bewusster zu leben. Habe ich alles, was ich brauche? Und brauche ich alles, was ich habe?

Wir konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Wir wollen doch das Schöne für unsere Kinder erhalten und die Frage ist: Wie machen wir das? Wir Menschen denken leider nicht so langfristig und haben Probleme damit, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Wir müssen begreifen, dass eine Veränderung unserer Lebensweise zwar nicht sofort alles rettet, aber trotzdem ein wichtiger Schritt für eine bessere Zukunft ist.

Portraitfoto Harald Zeiss

Vielen Dank für das Gespräch, Harald!

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