Menschen

Die mit den Steinen spricht: 7 Fragen an Kerstin Pfeiffer

Unter unseren Füßen befinden sich Milliarden Jahre Erd- und Klimageschichte(n). Tiefe Meere, heiße Wüsten, rauchende Vulkane und aufeinanderprallende Kontinentalplatten haben unseren Planeten geformt.

von Natascha Fouquet15.1.2025
Natascha interessiert, was Menschen bewegt. Das Unterwegssein bedeutet für sie: die Perspektive zu wechseln und niemals aufhören zu lernen.

All das weiß Dip.-Geologin Kerstin Pfeiffer, die 2011 den „GeoPark–Nordisches Steinreich“ gründete. Mit Exkursionen und erlebnispädagogischen Angeboten schlägt sie die Brücke zwischen Forschung und Gesellschaft. Ihr Ziel? Naturwissenschaften zum Anfassen.

Warum das Boltenhagener Kliff ein geologischer Krimi ist, den es zu „lesen“ lohnt, welche Storys Steine erzählen und ob der Blick in die Vergangenheit Antworten auf Klima und Leben in der Zukunft geben kann – auf diese Fragen findet Kerstin Pfeiffer Antworten.

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Gerade kommen Sie von einer geowissenschaftlichen Exkursion an die Jurassic Coast in Südengland zurück. Das klingt abenteuerlich! Woher kommt der Name?

An der Küste zwischen Lyme Regis und Charmouth wurden schon früh wichtige Fossilien gefunden. Mary Anning entdeckte hier 1814 den ersten Ichthyosaurier, später einen kompletten Plesiosaurier und den ersten Flugsaurier in der Geschichte Großbritanniens. Grund für die reiche Ausbeute ist die Küstenerosion, die hier ein hohes Tempo vorlegt. Regen und Gezeiten lösen Material aus der Steilküste, die so in schöner Regelmäßigkeit neue Geheimnisse und Schätze preisgibt.

"Die Gesteinsschichten sind für mich wie ein überdimensionales Buch."
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Ihr Fokus liegt weniger auf versteinerten Überresten als auf den Gesteinen selbst. Was lesen Sie an der Jurassic Coast zwischen den (Sediment-)Zeilen?

Die Gesteins- und Sedimentschichten sind für mich wie ein überdimensionales Buch, denn sie liegen dort trotz der plattentektonischer Prozesse nahezu unversehrt und entsprechend gut „lesbar“ übereinander. Manche Schichten zeigen eindeutig sandige Ablagerungen, die nur aus flachen, küstennahen Bereichen stammen können. In anderen wiederum weisen sandfreie Kalkablagerungen darauf hin, dass dieses Gebiet früher weit von der Küste entfernt lag. Tonige Ablagerungen sind hingegen ein Indiz für größere Wassertiefen. Mir stellt sich da sofort die Frage: „Was hat zu diesen permanenten Wechseln geführt?“ Als Geologin werde ich zur Ermittlerin, ich begebe mich auf Spurensuche, versuche bereits bekannte Fakten zu verknüpfen und ein Bild der damaligen Zeit zu rekonstruieren. 50 cm Sediment können dann schon einmal die Geschichte von einer Million Jahren beinhalten, die in detektivisch entschlüsselt werden will.

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Wie bringen Sie Steine dazu, mit Ihnen zu sprechen?

Gesteinsansprache nennt sich im Fachjargon die Bestimmung von Gesteinen, und erfahrungsgemäß zeigen sich diese anfänglich immer etwas wortkarg. Doch je mehr ich meine Sinne einsetze, desto redseliger werden sie. Die Teilnehmenden unserer Exkursionsgruppen dürfen grundsätzlich drauflos experimentieren. Was passiert zum Beispiel, wenn die Oberfläche eines Steins nass wird? Wie sieht die frische Bruchstelle unter der Lupe aus, nachdem ich den Stein zertrümmert habe? Sind Kristalle zu erkennen? Wie fühlt sich seine Oberfläche an, wie riecht er? Um interessante Exemplare ausfindig zu machen, will der Blick geschult werden. Nach jeder Exkursion sieht man mehr.

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Welche Gesteinsart erzählt die spannendsten Storys?

Geologinnen und Geologen, die sich mit den Sedimenten beschäftigen, werden von ihren Kollegen gern als „Softrocker“ bezeichnet. Diejenigen, deren Schwerpunkt auf der Erforschung von Kristallgesteinen liegt, werden „Hardrocker“ genannt. Natürlich wird jede Zunft glaubhaft vermitteln, dass ihre jeweilige Nische besonders viele Informationen preisgibt. Ich würde sagen, dass man Sedimentgestein am leichtesten lesen kann, da die Erdgeschichte hier so brav übereinanderliegt. Arbeite ich mit kristallinen Gesteinen, muss ich mich schon etwas mehr anstrengen.

„Fossilien, die wir heute am Strand finden, schwammen also irgendwann als lebendige Urzeittiere auf der Südhalbkugel herum."
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Über den GeoPark bieten Sie auch eine Exkursion zum Boltenhagener Kliff an. Warum sollte dieser Ort unbedingt auf meiner Bucket-List stehen?

Das Kliff von Klütz Höved bei Boltenhagen erodiert sehr stark. Je mehr es bröckelt, desto interessanter ist es – zumindest aus geologischer Sicht. Auf diese Weise ist ja permanent für Frischware gesorgt. Das Beeindruckende an den Kieskuhlen hier im Norden und eben auch an unserer Ostseeküste ist, dass ich auf einem Quadratmeter ein riesiges Spektrum an Gesteinen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters finde. Als die Gletscher während der Eiszeit aus Skandinavien über unser heutiges Norddeutschland hinwegzogen, führten sie an ihrer Unterseite loses Gestein mit, das liegen blieb. Gestein, das mehrere hundert Milliarden Jahre alt sein kann. Mittlerweile können wir bei vielen Gesteinen sehr genau bestimmen, welcher aus Oslo gekommen ist und welcher aus Kristianstad oder von der Insel Öland.

Skandinavien befand sich zu jener Zeit dort, wo heute Australien liegt. Fossilien, die wir heute am Strand finden, schwammen also irgendwann als lebendige Urzeittiere auf der Südhalbkugel herum. Nachdem sie gestorben, auf den Meeresgrund gesunken und zu Kalkstein geworden waren, wurden sie durch die Plattentektonik über den Äquator nach Norden transportiert. Dann kam die Eiszeit, die Gletscher entstanden, nahmen es mit und ließen den so genannten Ölandstein hier bei uns in Boltenhagen am Kliff zurück. Das Meer hat ihn dann wieder freigespült – so schreibt jeder Stein heute seinen eigenen Reiseblog.

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Von der Küste in die Stadt: Was erfahren wir von Steinen in Städten wie Lüneburg, Hamburg oder Lübeck?

Lüneburg und auch Bad Segeberg haben durch ihre Salzstöcke ein Alleinstellungsmerkmal. Das Salz, das die Städte in der Hansezeit reich machte, entführt uns ins Perm, eine Periode der Erdgeschichte, in der höchste Temperaturen herrschten. Viele Populationen starben aus, die Meere dampften ein und das Salz blieb zurück. In Lüneburg gibt es heute durch die Hohlräume, die durch den Salzabbau entstanden sind, regelrechte Senkungsgebiete, auf denen die Häuser absacken. In Hamburg und auch in Lübeck schaue ich mir in erster Linie die Steine an den Gebäuden an. An mancher Wand entdeckt man ein Stück aus der Karibik, an anderer Gotlandkalkstein. Bei diesen Exkursionen findet man die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oft mit der Lupe auf Kirchenstufen kniend, weil sich in ihnen eine Menge spannender Geschichte aufspüren lässt.

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Können die Geowissenschaften Rückschlüsse aus den vergangenen Jahrmillionen ziehen und Antworten auf den heutigen Klimawandel geben?

Die Geowissenschaften untersuchen die Vergangenheit und liefern tatsächlich die Grundlagen für die Klimamodelle. Mit vielen verschiedenen Methoden – beispielsweise anhand von Bohrkernen – untersuchen wir, wie sich das Klima in der Vergangenheit entwickelt hat und finden Beispiele für die Wirkungen eines Klimawandels. Dementsprechend liefern die Geowissenschaften auch Lösungsmöglichkeiten, angefangen bei den Rohstoffen für die neuen Technologien, über die CO2-Speicherung bis zur Nutzung der Erdwärme. Das Wissen darüber, welche sinnvollen Schritte jetzt zeitnah unternommen werden müssten, ist längst vorhanden. Das größte Problem aber, vor dem unsere Wissenschaft nach wie vor steht, ist die Schwierigkeit, dieses immense Know-how in eine für alle verständliche Sprache zu verpacken und es so zu etablieren, dass jeder die richtigen Konsequenzen für sich ziehen kann. Bislang konzentrieren wir uns zu sehr auf den Verzicht. Die bevorstehenden Veränderungen bieten aber auch viele Chancen.

Mit den Angeboten des „GeoPark Nordisches Steinreich“ versuchen wir den Brückenschlag zwischen Forschung und Gesellschaft. Unser Ziel ist erreicht, wenn wir es schaffen, das Interesse an der Geologie und am naturwissenschaftlichen Denken zu vermitteln, damit mehr Menschen zur Lösung der komplexen Probleme beitragen.

Mehr über die Arbeit von Kerstin Pfeiffer: www.geopark-nordisches-steinreich.de

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