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Feinkost aus geretteten Lebensmitteln: 7 Fragen an Unverschwendet

Jährlich werden mehrere Millionen Kilogramm an Lebensmitteln weggeworfen. Einen Teil davon bewahrt das Geschwisterpaar Cornelia und Andreas Diesenreiter vor der Tonne.

von Nadine Pinezits31.12.2024
Nadine liebt die Berge, den Wald hinter ihrem Elternhaus, die Küsten Portugals und ihre Kamera, mit der sie sämtliche ihrer Abenteuer einfängt.

Mit ihrem Unternehmen „Unverschwendet“ arbeiten die beiden seit 2016 an Lösungen zur Rettung von Lebensmitteln. Aktuell produzieren sie mit ihren Partner:innenbetrieben köstliche Marmeladen, Chutneys, Eingelegtes, Sirupe und vieles mehr aus gerettetem Obst und Gemüse. Wir haben die zwei zum Interview getroffen und dabei mehr über ihre Vision erfahren.

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Liebe Cornelia, lieber Andreas. Für alle, die noch nie von Unverschwendet gehört haben: Was macht ihr genau?

Cornelia: Wir retten Lebensmittel und machen daraus gute Sachen. Unsere Vision ist es, die Lösungsanbieterin für Lebensmittelüberschüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu werden. Von unserer Feinkostlinie „Unverschwendet“ über „Rettenswert“, ein gemeinsames Projekt mit dem österreichischen Diskonter „HOFER", bis hin zur Zusammenarbeit mit der Tafel Österreich für Produkte für Armutsbetroffene – unser Ziel ist es, für jeden Überschuss eine Lösung zu finden.

Andreas: Wichtig zu wissen ist auch, dass wir nicht das retten, was in der Filiale übrigbleibt, sondern die komplette Kette davor bedienen – vom Feld über die Sortieranlagen bis hin zu den Produzent:innen. Begonnen hat alles vor acht Jahren ganz klassisch: Wir haben alles an Obst und Gemüse selbst eingekocht an unserem Marktstand am Schwendermarkt in Wien. Heute arbeiten wir mit einem großen Netzwerk an Landwirt:innen und Produzent:innen, um Überschüsse zu identifizieren und daraus hochwertige Produkte herzustellen.

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Wieso wird im Supermarkt nicht mehr unschönes und unperfektes Obst und Gemüse angeboten?

Cornelia: Zu klein, zu groß oder zu krumm – Obst und Gemüse mit Makeln macht nur einen Bruchteil von dem aus, was es nicht in die Supermärkte schafft. Das Meiste ist einfach ein Überschuss, sprich einwandfreie Ware, nur eben einfach zu viel davon. Landwirt:innen haben Verträge mit Supermärkten, die ihnen beispielsweise vorschreiben, 50 Tonnen Zucchini zu liefern. Um auf mögliche Wetterereignisse wie Hitze oder Frost zu reagieren, bauen sie sicherheitshalber 120 bis 160 Prozent davon an. Wenn dann jedoch nichts davon eintrifft, bleibt ein Überschuss. Mit Initiativen wie den „Wunderlingen“ (Aktion, bei welcher Obst und Gemüse mit natürlichen Verwachsungen oder krummer Erscheinung in Supermärkten angeboten wird) kann man zwar viel erreichen, doch niemals alles abdecken. Der Supermarkt kann also oftmals nichts dafür. Wir möchten deshalb vor allem weg vom „Schuldgeben“ hin zum „Lösung finden“.

Andreas: Supermärkte sind wirtschaftlich ausgerichtet. Menschen bevorzugen gleich große und gleich schöne Waren, besonders bei Obst und Gemüse. Wenn die Produkte jetzt komplett unterschiedlich wären in ihrer Optik, würden die Konsument:innen noch mehr hingreifen als ohnehin schon (um zu eruieren, welches das Beste ist), was dazu führen kann, dass die Lebensmittel beschädigt werden, schneller verderben und folglich auch schneller weggeworfen werden. Dann stehen wir am Ende wieder vor demselben Problem.

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Wie wählt ihr die Lebensmittelüberschüsse aus, aus denen ihr dann im Anschluss eure Produkte fertigt?

Cornelia: Bei Unverschwendet haben wir folgende Regel: regionaler Überschuss, regional verarbeitet, mit einem Radius von 150 Kilometern um Wien. Der Grundsatz ist, Genuss für den besonderen Moment mit sehr hohen Nachhaltigkeitsstandards zu schaffen. Beim Projekt Rettenswert geht es mehr um leistbare Nachhaltigkeit und es werden auch importierte Überschüsse verarbeitet. Diese Produkte sind für den täglichen Bedarf und dabei auch günstiger.

 Andreas: Wir bekommen mehr angeboten, als wir annehmen können – Millionen von Kilogramm. Doch das größte Problem ist, dass gerettete Überschüsse oft teurer sind als reguläre Marktware. Denn Überschüsse erfordern oftmals zusätzliche Arbeitsschritte. Ein Beispiel: Karotten, die maschinell sortiert werden, müssen dann von Hand nachsortiert werden, um zu schauen, ob etwas, das zuvor vielleicht als Schimmel identifiziert wurde, nicht doch vielleicht nur Staub ist. Der Aufwand, etwas zu retten, ist also häufig größer, als es nicht zu retten. Viele Menschen verstehen dann aber nicht, warum gerettete Produkte genauso viel oder mehr kosten, weil uns zudem auch Plattformen wie Too Good To Go vermitteln, dass gerettete Ware günstiger ist. Deshalb müssen wir die meisten Überschüsse ablehnen, weil sie am Ende einfach zu teuer wären.

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Das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung. Mit welchen Challenges seid ihr sonst noch konfrontiert und wie löst ihr sie?

Cornelia: Unsere Arbeit umfasst nicht nur die Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit, sondern auch bei jedem neuen produzierenden Betrieb. Da muss man auf jeden Fall sehr sensibel sein, was die Kommunikation angeht. Wir sprechen daher immer explizit von Überschuss und nicht von Abfall, weil Betriebe bei Abfall an schlechte und verdorbene Lebensmittel denken und glauben, wir kämen mit fast schimmeligen Produkten zu ihnen. Doch der Abfall des einen kann eine wertvolle Ressource für jemand anderen sein. Das erfordert viel Überzeugungsarbeit, aber es gibt bereits zahlreiche positive Beispiele.

Andreas: Gerettet heißt außerdem nicht zwangsläufig vor dem Abfall bewahrt, sondern dass Produkte, die für den menschlichen Verzehr produziert wurden, auch dafür genutzt werden. Alternativ landen Überschüsse nämlich in Biogasanlagen, werden kompostiert oder zu Tierfutter verarbeitet. Oft bekommen wir Überschüsse angeboten und möchten sie nutzen und auch alle entlang der Kette fair entlohnen. Doch wenn jetzt beispielsweise der Zoo in Wien den Landwirt:innen für ein paar Tonnen Karotten den einfacheren und finanziell besseren Weg bietet, gehen sie oft dorthin und nicht an uns.

Produkte von Unverschwendet aus geretteten Lebensmitteln.
Foto: Unverschwendet
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Was hat sich seit eurer Zusammenarbeit mit dem österreichischen Diskonter „HOFER" unter der Eigenmarke “Rettenswert” für euch geändert?

Cornelia: Dank der Vertriebsstärke von HOFER haben sich die Mengen, die wir bewältigen können, erheblich vergrößert. Wenn uns früher jemand 20 Tonnen Äpfel angeboten hat, konnten wir vielleicht 2 Tonnen abnehmen. Jetzt können wir einen Sattelschlepper schicken und die ganzen 20 Tonnen retten.

 Andreas: Unser Ziel ist es, möglichst viel zu retten und gemeinsam mit HOFER herauszufinden, wie wir Produkte preiswert gestalten können. Es ist spannend, den Markt so noch besser zu verstehen und auszutesten, was in der breiten Masse funktioniert und was der Durchschnittsmensch kauft. HOFER gibt uns dabei viele Freiheiten, um neue Ideen zu entwickeln und auszuprobieren.

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Was habt ihr mit Unverschwendet in naher Zukunft noch geplant?

Cornelia: Wir arbeiten aktuell an einem Projekt, das darauf abzielt, mehr Überschüsse für soziale Einrichtungen verfügbar zu machen. In vielen Städten gibt es immer weniger Überschüsse, da die Bestellsysteme dank KI immer präziser werden. Auch Plattformen wie Retterboxen und Too Good To Go haben ihren Absatz, was bedeutet, dass für soziale Einrichtungen immer weniger übrig bleibt. Außerdem bringt es einem Frauenhaus in Wien beispielsweise wenig, wenn im Südburgenland tonnenweise Kürbisse übrig sind. Wir wollen unser Know-how nutzen, um Lösungen zu finden, wie wir diese Überschüsse gezielt für soziale Einrichtungen einsetzen können. Für 2025 planen wir außerdem eine große Bewusstseinsbildungskampagne, in der wir den Menschen zeigen wollen, welche Arbeit hinter unseren Bemühungen steckt.

Andreas: Ein weiteres Projekt ist zudem die Neugestaltung und Renovierung unseres Marktstandes am Schwendermarkt in Wien. Der wird bald in neuem Glanz erstrahlen.

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Habt ihr Tipps, was man als Einzelne:r tun kann, um Lebensmittelabfällen entgegen zu wirken?

Cornelia: Die Konsument:innen dazu zu bewegen, weniger Lebensmittel wegzuwerfen, ist die absolute Königsdisziplin in der Abfallvermeidung. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, von Unwissenheit bis hin zu sozialen Bedürfnissen. Es gibt ein riesiges Portfolio an Lösungen, die wir entwickeln müssen und davor haben wir riesigen Respekt. Wichtig ist, dass man sich selbst nicht verteufeln oder schlecht fühlen sollte, wenn man etwas nicht perfekt hinbekommt und etwas wegwerfen muss. Oft nehmen sich die Menschen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu viel vor, was zu einem diätartigen Ansatz führt. Wenn ich mir etwas verbiete, halte ich das langfristig nicht durch und werde frustriert. Kleine, umsetzbare Änderungen, die ich durchziehe und bei denen ich Erfolge sehe, sind viel bestärkender. Wir brauchen viele Menschen, die kleine Dinge tun, statt nur einige wenige, die alles richtig machen.

 Andreas: Genau. Man sollte demnach für sich selbst überlegen, welche Maßnahmen man in das eigene Leben integrieren kann. Es geht darum, zu erkennen, welcher Typ man ist. Wenn man Anpassungen vornehmen kann, die gut und einfach umzusetzen sind, sollte man diese Möglichkeiten nutzen.

Liebe Cornelia, lieber Andreas, vielen Dank für eure Zeit und die spannenden Einblicke ins Thema! Für mehr Infos besucht Unverschwendet auf Instagram oder auf deren Webseite. Im Onlineshop findet ihr viele nachhaltige Produkte aus geretteten Lebensmitteln, die sich auch ideal als Geschenk eignen. Solltet ihr noch mehr Interesse am Thema Nachhaltigkeit haben, sei euch auch Cornelias Buch „Nachhaltig gibt’s nicht“ sehr ans Herz gelegt.

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