Kraftort Wald: Wie wir beim Waldbaden zu uns selbst finden und neue Energie tanken
Tief durchatmen und entspannen – Waldbaden gilt als wirksames Mittel gegen Stress. Warum der Wald so gesund ist und wie wir ihn mit allen Sinnen erleben.
Tief durchatmen und entspannen – Waldbaden gilt als wirksames Mittel gegen Stress. Warum der Wald so gesund ist und wie wir ihn mit allen Sinnen erleben.
Sanft rauschende Blätter im Wind, malerische Farbenspiele aus Licht und Schatten und in der Luft liegt der Duft von Tannennadeln und frischem Moos – galt der Wald lange Zeit als mystischer, in der Geschichte oft sogar bedrohlicher Ort, ist er heute Inbegriff unberührter Natur und Erholung. Wer Ruhe und Entspannung sucht, tankt neue Kraft und Energie gerne im Grünen. Und so hat sich in den letzten Jahren das Waldbaden auch in Deutschland vom Trend zu einem scheinbar sehr wirksamen Mittel gegen Stress und zur Stärkung des Immunsystems entwickelt. Ich frage mich, wie und warum das eigentlich so gut funktioniert. Gibt es Waldbaden bald vielleicht sogar auf Rezept?
Tief durchatmen, entspannen und einfach mal komplett abschalten – das fällt vielen von uns im oft schnelllebigen und zunehmend digitalisierten Alltag immer schwerer. Und auch wenn es längst kein Geheimnis mehr ist, dass Ausflüge ins Grüne nicht nur unser körperliches, sondern auch unser mentales Wohlbefinden stärken, haben wir die Verbundenheit mit der Natur gerade in urbanen Lebensräumen oftmals weitestgehend verloren.
Beim Waldbaden soll genau dieser Kontakt wiederhergestellt werden. Eine Kampagne des japanischen Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten und Fischerei regte 1982 die Bevölkerung dazu an, mehr Zeit in der Natur zu verbringen und prägte so den Begriff Shinrin Yoku – Waldbaden. Übersetzt bedeutet es, die Atmosphäre des Waldes aufzusaugen. In die Vielfalt des Waldes einzutauchen, ihn mit allen Sinnen zu erleben, das hat in Japan somit bereits seit vielen Jahren Tradition und wird als heilsames Erholungsangebot und vielversprechende Naturtherapie erforscht und gefördert. Aber auch in Europa gibt es solche Traditionen, wie beispielsweise das norwegische Friluftsliv, bei dem es um Zeit und Bewegung an der frischen Luft geht.
Dass Wälder sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken, ist also nicht nur intuitiv spürbar, sondern mittlerweile auch wissenschaftlich belegt. Die besonderen Farben, das Licht, die Gerüche, Geräusche und nicht zuletzt das angenehme Klima stimulieren die Aktivität des Parasympatikus, der innerhalb unseres Nervensystems für Erholung und Regeneration bis auf Zellebene sorgt.
Während viele von uns im Alltag vor allem von mit Staubteilchen belasteter Stadtluft umgeben sind, atmen wir beim Waldbaden pflanzliche Duftstoffe – sogenannte Terpene – ein. Diese stärken unser Immunsystem und können uns sogar vor Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetis, Bluthochdruck und weiteren chronischen Erkrankungen schützen.
Bäume wirken zudem stimmungsaufhellend und beruhigend. Sie helfen uns beim Stressabbau, können so Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen wie Burnout entgegenwirken. Verbringen wir Zeit im Wald, betreiben wir damit also aktive Gesundheitsvorsorge.
Anders als beim Wandern oder Spazieren, geht es beim Waldbaden vor allem um bewusste Entschleunigung. Im Fokus stehen nicht das Tempo, der Weg, die Distanz oder das Ziel, sondern die achtsame Wahrnehmung der Umgebung, das Innehalten und Erleben mit allen Sinnen und das ganz ohne Leistungsdruck.
Feste Regeln gibt es dabei nicht. In den Wald einzutauchen, das geht alleine, mit Freund:innen, Familie, Kindern, Hund oder sogar unter professioneller Anleitung. Denn in ganz Deutschland gibt es mittlerweile viele ausgebildete und zertifizierte Waldbademeister:innen, die das Bad im Meer aus Bäumen professionell begleiten.
Eine von ihnen ist Anja Henrichsmann. Sie hat 2019 eine Ausbildung in Waldbaden absolviert und begleitet seitdem Erwachsene und Kinder in die münsterländischen Wälder und bringt so Entspannung sowie körperliches und geistiges Wohlbefinden in ihren Alltag. Waldbaden ist dabei eben weit mehr als ein einfacher Spaziergang in der Natur.
„Wenn ich mit den Leuten in den Wald gehe, bereite ich sie schon am Treffpunkt darauf vor, dass wir jetzt in eine andere Dimension eintauchen und versuchen, den Alltag zurückzulassen“, beschreibt Henrichsmann den Ablauf des Waldbadens. „Wir gehen ganz leise in den Wald, schauen auf die kleinen Dinge am Wegesrand und fangen an, alle Sinne zu erforschen und zu aktivieren.“ Zum Einsatz kommen dabei gezielte Entspannungs- sowie Atemübungen, Aufgaben und Anleitungen zum Tasten, Fühlen, Riechen und Erleben.
Während man allein ganz auf sich selbst gestellt und der Kopf vor allem damit beschäftigt sei, was zu tun ist, um wirklich zu entspannen, könne man durch die Begleitung der Waldbademeister:innen loslassen und zur Ruhe kommen, so Henrichsmann. Auch sie ist daher überzeugt von der heilsamen Kraft des Waldbadens: „Teilnehmer:innen melden mir zurück, dass sie in den zwei bis drei Stunden endlich abschalten und bei sich ankommen konnten. Sie fühlen sich tief entspannt und glücklich. Die Verbindung zur Natur und zu den Bäumen löst viel in uns Menschen aus.“
Im Gespräch sind wir uns einig: Bei all den positiven Effekten für Körper und Geist, wäre es doch sinnvoll, Waldbaden auch medizinisch verordnen zu lassen.
Zumindest in Kanada verschreiben Ärzt:innen und Psycholog:innen seit 2022 Ausflüge ins Grüne auch auf Rezept. Die sogenannte „Park Prescription“ ermöglicht Menschen den kostenlosen Eintritt in einen der 80 kanadischen Nationalparks in ihrer Nähe. Das Projekt „Park Prescription – PaRx“ ist ein erstes, evidenzbasiertes Naturverschreibungsprogramm, initiiert von Gesundheitsorganisationen und kanadischen Parkverwaltungen. Zeit in der Natur soll so neben gesunder Ernährung, Schlaf und Bewegung, zu einem festen Bestandteil der Gesundheitsvorsorge werden.
Meine Nachfrage, ob Waldbaden auch bei uns medizinisch verordnet werden könne, wurde zumindest bei meiner Krankenkasse aktuell verneint.
Bis es also auch in Deutschland so weit ist, dauert es wohl noch eine Weile. Zwar gibt es auch hier mehr und mehr Mediziner:innen, die sogenannte „Grüne Rezepte“ ausstellen. Diese haben aktuell aber vor allem einen symbolischen Charakter. Sie lassen sich bisher nirgendwo einlösen, schaffen aber Verbindlichkeit und fördern die Motivation der Patient:innen, häufiger den Weg in die Natur zu suchen.
Auch wenn medizinisch verordnete Rezepte und Krankenkassenleistungen wohl noch ein bisschen auf sich warten lassen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, in Deutschlands Wälder einzutauchen und Entspannung zu finden.
Mit einer Fläche von 11,4 Millionen Hektar ist Deutschland eines der waldreichsten Länder Mitteleuropas. Ob im Thüringer Wald, auf Usedom, in Garmisch-Partenkirchen oder im Umland Berlins – Waldbaden lässt sich hier – ob allein oder unter Anleitung – auch ganz ohne „Grünes Rezept“ erleben.
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