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Time to meet myself: Auszeit im Yoga Vidya

von Natascha Fouquet28.11.2023
Natascha interessiert, was Menschen bewegt. Das Unterwegssein bedeutet für sie: die Perspektive zu wechseln und niemals aufhören zu lernen.
Zwei Frauen, die Yoga im Freien praktizieren.

Um den Alltag zu surfen, brauche ich einen Anker. Noch ein Auftrag? Kein Problem, passt schon noch irgendwie rein. Seit mehr als zehn Jahren holt mich meine Yoga-Routine zurück auf den Boden der Tatsachen.

Ich schenke mir auf meiner Matte so oft wie möglich eine Stunde Selfcare-Zeit, und mit jedem „Krieger“, „Hund“ und „happy Baby“ komme ich mehr vom Außen ins Innen, setze meinen Fokus neu und fühle mich anschließend bestens gewappnet für jeden Berufs-Tsunami.

Seit Jahren schon reizt es mich, ein längeres Yoga-Retreat zu besuchen, um herauszufinden, ob sich dadurch ein tieferes, nachhaltigeres Ergebnis erzielen lässt. Die Google-Recherche ergibt diverse Treffer und zeigt mir unter anderem Yoga Vidya an, eines der größten Yogazentren Europas im Landkreis Lippe. Hier werden nicht nur Lehrer:innen ausgebildet, sondern auch Individualgäste empfangen. Ich buche 7 Tage – time to meet myself!

Lost im Retreat

Meine Bleibe auf Zeit befindet sich im Haus „Shanti“. In drei Gebäuden und in mehr als 40 Seminar-, Übungs- und Tempelräumen finden täglich um die 50 Kurse statt. Yoga, Pranayama, Satsang, hinduistische Rituale, Nordic Walking, Meditationen – und was zur Hölle ist Kirtan-Singen? Ratlos stehe ich vor dem gigantischen Flachbildschirm, über den die Programminfos flimmern. „Bist du Anfängerin oder fortgeschritten?“, fragt mich ein muskulöser Beau im sonnengelben Outfit. Mein leicht überforderter Blick scheint ihm Antwort genug zu sein. „Geh mal zur Yogastunde mit Klavierbegleitung“, lautet seine Empfehlung. Klavier und Yoga klingt mir zwar nach etwas zu viel Entspannung, aber solange ich mich hier noch „lost in translation“ fühle, nehme ich den Kurs, den ich auch ohne Navi finden kann. Also rein in den etwa 100 Quadratmeter großen Raum, in dem schon geschätzte 70 Menschen aller Altersgruppen ihre Matten ausgerollt haben. Vorn auf einem erhöhten Podest sitzt schon Madhuka, unser Kursleiter, am E-Piano. Wir starten liegend in Shavasana, der Entspannungshaltung, und ich merke, wie hoch meine Drehzahl nach den letzten herausfordernden Wochen noch ist. Aus ersten schwebenden Tönen formt sich eine Melodie, darüber legt sich die sonore Stimme Mandhukas. Wir atmen, dehnen uns, wecken die Muskulatur auf, die Übungen werden kraftvoller, das Tempo zieht an. Um mich herum dutzende Menschen, die sich im Einklang bewegen. Ein großartiger Vibe! Die weißhaarige Frau neben mir mag um die Achtzig sein und reicht mir in puncto Flexibilität locker das Wasser. Der Wuschelkopf in der zweiten Reihe ist vielleicht elf, zwölf Jahre alt und geht das Ganze herrlich spielerisch an. Jeder praktiziert nach seinen Möglichkeiten, die Anleitungen sind präzise und fundiert. 120 Minuten später weiß ich, dass ich am Abend nicht allein ins Bett gehen werde: Mein Muskelkater wird mein Begleiter sein.

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Auf dem Weg zum Speisesaal begleitet mich nicht nur der Geist von Swami Sivananda, in dessen Tradition hier gelehrt wird, sondern auch die lebensgroßen Abbilder von Buddha, Ganesha und Affengott Hanuman. In diesem Umfeld, in dieser Yoga-Bubble zu sein, ist ungeheuer hilfreich, um anstehende Meetings, die leidige Steuererklärung und weitere To Do‘s auf die gedankliche Wartebank zu schicken. Am Abend will ich den Tag mit einer Meditation ausklingen lassen. Meine Konzentration aber hat offenbar Urlaub. Also atmen und immer wieder zurückkehren in den Moment. Ich bin irgendwo, nur nicht in meiner Mitte! Auf die Plätze, fertig, Entspannung? Funktioniert nicht, und ich ärgere mich, dass ich einen wertvollen Tag ‚verloren‘ habe, weil es – oder ich? – nicht so funktioniert hat, wie erwartet. Grüß Gott, da sind sie wieder, die Geschwister Selbstoptimierung und Erwartungshaltung.

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Zwischen Frustration und Erkenntnis

In meinem Zimmer greife ich zu Papier und Stift. Lektion Nr. 1: Ich bin nach einem ersten Tag im Retreat weder total gechillt noch erleuchtet, dafür irgendwie frustriert. Wieso? Weil meine Erwartungen sich nicht mit der Realität decken. Anstatt zu vertrauen, setze ich mich unter Druck. Wie verrückt ist das denn bitte?! In den kommenden Tagen gehe ich es also entspannter an und besuche Rücken-, Räkel- und Kundaliniyoga, einen Handstand-Workshop, ich versuche mich im Intonieren von Mantren, meditiere, fülle mich mit neuem Wissen über Chakrenarbeit und lasse mir Seele und Rücken von Ayurveda-Masseuren streicheln. Ich genieße auf Spaziergängen die Herbstsonne und gehe endlich mal wieder früh ins Bett. Auf das Knüpfen von Kontakten verzichte ich bewusst. Dieser Rückzug tut mir gut, und in Kombination mit einem Medien-Detox zeigt er bereits Wirkung.

Ich komme auf vier Stunden Yoga täglich, ergänzt durch eine Stunde Meditation. Ich mute mir begeistert höhere Level zu und stelle fest, dass sich mit zunehmender Flexibilität meines Körpers auch mein Geist dehnt und sich Gedankenknäuel wie von selbst entwirren. Mein Geschenk an Tag drei: Ein klarer Geist und eine extragroße Dosis Gelassenheit und Achtsamkeit für mich und meine Bedürfnisse. Es macht definitiv einen Unterschied, ob ich eine Stunde Yoga in meinen vollen Alltag hineinquetsche, oder ob ich mir die Zeit nehme, den Geist ruhig werden zu lassen, ohne anschließend ins nächste Meeting zu hetzen.

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Ein Lautsprecher für die innere Stimme

Der Yogapraxis mehr Zeit einzuräumen, das bedeutet nicht nur den Körper zu trainieren. Wenn ich es mir erlaube, still zu werden, kann ich meiner inneren Stimme, meiner Intuition lauschen. Sie nicht zu hören, bedeutet, meinen Kompass auf meinem Weg durchs Leben zu verlieren, mein Korrektiv, wenn ich mal falsch abbiege. Wie oft packen wir unser Leben zu voll, eilen von Projekt zu Projekt, statt innezuhalten. Viel zu selten erlauben wir es uns, nichts Kluges zu denken, zu sagen, zu planen, Momente, in denen wir niemand sein und keine Erwartungen erfüllen müssen.

Den Zustand, der sich während des einwöchigen Retreats eingestellt hat, würde ich als „zurückgesetzt auf Werkszustand“ beschreiben und ich bin erstaunt, dass dies tatsächlich schon nach sieben Tagen möglich ist. Dieses Gefühl wird mich tatsächlich noch einige Wochen begleiten, mit anderen Worten: das Yogaretreat war eine extrem gute und nachhaltige Investition. Deshalb wird es mein Geschenk an mich selbst sein, mir einmal im Jahr Zeit für Yoga und meine Seelenhygiene zu gönnen.

Übrigens bleiben Handy und Fernseher jetzt häufig einfach mal ausgeschaltet und ich schreibe wieder Tagebuch: Wofür bin ich heute dankbar, was hat mir Kraft gegeben, was hat sie mir genommen? Klingt simpel, ist aber unheimlich effektiv, um das Bewusstsein zu schärfen. Welcher Effekt sich wohl nach 2 Wochen einstellt? Ich werde es in 2024 herausfinden. In diesem Sinne: Namasté.

Anmerkung der Redaktion:

Dieser Artikel ist vor der ARD Reportage „Yoga – um welchen Preis?“ erschienen. Wir unterstützen das dort thematisierte Verhalten nicht und sprechen somit auch keine Empfehlung für Yoga Vidya aus.

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