Barrierefreies Reisen: 7 Fragen an Kim Lumelius

von Ilka Bröskamp3.8.2024
Ausgeschlafen und bei einem frisch zubereiteten Hafermilch-Latte, schreibt Ilka leidenschaftlich gern über bewussteres Leben und Reisen.
Kim ist mit ihrem Rollstuhl in der Eifel unterwegs.

Ob Strandurlaub an der Algarve, Safari in Südafrika oder Wellness in den Alpen – Kim bereist die Welt im Rollstuhl. Mit ihrem Blog macht sie ihren Leser:innen Lust auf Urlaubsabenteuer und gibt Tipps rund um barrierefreies Reisen.

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Liebe Kim, du teilst auf deinem Blog und Instagram-Kanal @wheeliewanderlust viele Reiseinspirationen – wie sieht dein perfekter Urlaub aus?

Ich bin im Herzen eine Entdeckerin und reise sehr unterschiedlich. Städtetrips mit dem Zug oder Fernreisen, bei denen ich mit Freundinnen oder meinem Mann Lorenz irgendwelche Abenteuer erlebe und alle drei Tage an einem anderen Ort bin, genieße ich sehr. Ich glaube aber, mein perfekter Urlaub muss gar nicht so weit entfernt sein. Ein Ferienhaus irgendwo in Europa zusammen mit Freunden, abends grillen, gemeinsam kochen, einfach eine gute Zeit haben, das ist für mich das Schönste.

„Es gibt so viele Dinge, die wir jeden Tag händeln müssen, das kann ich dann genauso im Urlaub machen. Überall sind die Leute sehr nett und hilfsbereit.“
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Deine Erfahrungen und Tipps machen vielen anderen Rollstuhlfahrer:innen Mut, die Welt zu erkunden – was motiviert dich selbst, deine Reiselust auszuleben?

Ich hatte schon immer viel mehr Spaß an schönen Momenten als an irgendwelchen materiellen Dingen – von der Vorfreude vor einer Reise, bis es endlich losgeht. Diese Zeit, das Erleben und Entdecken, das macht mir einfach die meiste Freude. Und der Mut? Ich denke immer, wir haben als Rollstuhlfahrer:innen, als Menschen mit Behinderung, sehr viele Barrieren, denen wir ganz alltäglich begegnen. Der Fahrstuhl kann kaputt sein, der Zug hat nur Treppen – aber das ist alles nichts, was mich am Reisen hindern würde. Es gibt so viele Dinge, die wir jeden Tag händeln müssen, das kann ich dann genauso im Urlaub machen. Überall sind die Leute sehr nett und hilfsbereit. Man muss einfach wissen, dass man manchmal auf fremde Hilfe angewiesen ist. Aber man kann alles überwinden und warum nicht dabei dann noch etwas erleben?

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Deine Perspektive, dass die Herausforderungen im Alltag gar nicht so anders sind als im Urlaub, kann also auch hilfreich sein und zusätzlich Mut machen. Auf welche Erfahrungen könntest du unterwegs dennoch gut verzichten?

Oft ist es so, dass zum Beispiel die Technik am Bahnhof oder Flughafen streikt und beispielsweise der Fahrstuhl nicht funktioniert. Oder bei Flugreisen habe ich Sorge um meinen Rollstuhl. Wenn du dein Hilfsmittel, mit dem du dich fortbewegen kannst, in fremde Hände gibst, dann ist das jedes Mal anstrengend und mit Angst verbunden. Bei den meisten Flügen geht aber alles glatt und der Rollstuhl kommt unbeschädigt mit mir an. All diese Herausforderungen führen aber leider dazu, dass manche Menschen gar nicht mehr mit dem Zug fahren, fliegen oder generell weniger unterwegs sind. Das ist total schade und ich freue mich unheimlich, dass ich mit meinen Erfahrungen tatsächlich Leuten Mut machen kann. Die sehen dann bei mir, wie es im Zug oder Flugzeug abläuft, oder wie das Badezimmer im Hotel aussieht. Kein Mensch schreibt über Toiletten, weil es einfach nicht interessant ist. Aber wenn du als Hilfsmittel einen Haltegriff brauchst und dich fragst, wie du zurechtkommen kannst, sind diese Informationen sehr hilfreich. Kann man sich die Dinge bildlich vorstellen, trauen sich tatsächlich auch mehr Menschen selbst loszuziehen.

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Gibt es mit Blick auf das barrierefreie Reisen Länder oder Reiseziele, die sich eher eignen als andere?

Die gibt es auf jeden Fall. Ganz grundsätzlich sind die USA in dieser Beziehung sehr fortschrittlich, da es dort ein Gesetz gibt, das dafür sorgt, dass kein Mensch aufgrund seiner Beeinträchtigung ausgeschlossen wird. Jedes Transportmittel, Restaurants oder Toiletten sind barrierefrei, sodass ich mich dort nicht im Einzelnen damit auseinandersetzen muss, ob ich hereinkomme. Auch Kanada und Japan sind sehr fortschrittlich. Aber es sind nicht immer gesamte Länder, sondern auch bestimmte Regionen wie zum Beispiel Andalusien, die sich auf barrierefreien Tourismus spezialisiert haben. Dort gibt es am Strand überall spezielle Strandrollstühle oder rollstuhlgerechte Strandzugänge über eine Holzrampe. Es ist eine tolle Region, um Urlaub zu machen.

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Gibt es Dinge oder bestimmte Tools, die dir die Planung und Gestaltung einer Reise erleichtern?

Ich bediene mich eigentlich allem, was ich im Internet finden kann. Es gibt leider nicht die eine App für barrierefreies Reisen. Darum schreibe ich auch meinen Blog. Als ich damit begonnen habe, konnte man auf Buchungswebseiten noch nicht einmal Unterkünfte als „rollstuhlgerecht“ oder „barrierefrei“ filtern. Das ist zum Glück jetzt anders, aber man weiß trotzdem leider nicht immer, was hinter dem Begriff steckt. Ist es ein rollstuhlgerechter Zugang, ein behindertengerechtes Bad oder einfach nur ebenerdig, aber ohne Hilfsmittel? Ist das auch für seh- oder hörbehinderte Menschen barrierefrei? Hier müsste man eigentlich noch viel weiter differenzieren. Aber zum Glück werden all diese Informationen mehr und mehr berücksichtigt. In Deutschland gibt es beispielsweise die Zertifizierung „Reisen für alle“. Auf der Webseite findet man Städte, Badeorte, einzelne Unterkünfte oder auch Sehenswürdigkeiten, die barrierefrei sind. Die Informationen sind hier sehr spezifisch und detailliert aufgelistet.

Und auch bei Google Maps kann man zu bestimmten Sehenswürdigkeiten und Orten Informationen zur Barrierefreiheit bekommen. Natürlich bin ich auch auf Instagram und in Facebook-Gruppen aktiv. Der Austausch ist sehr hilfreich. Aber es ist wirklich viel, viel Recherche und häufig kontaktiere ich auch die Hotels vor meiner Buchung. Wenn ich zum Beispiel einen Roadtrip mit mehreren Stopps und verschiedenen Unterkünften plane, schreibe ich auch mal 100 Unterkünfte an und suche mir dann die beste raus. Ich gehe gerne in kleine Gästehäuser – je individueller, desto schöner. Ich weiß aber, dass mich da selten ein Zimmer nach Norm erwartet wie in den großen Hotelketten. Aber nach Möglichkeit versuche ich so die besonderen Perlen rauszupicken, wo es nette Inhaber:innen und ein besonderes Flair gibt.

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Trotz bester Vorbereitungen kommt es unterwegs ja doch manchmal anders als geplant – wie schaffst du es, dich von diesen Ungewissheiten nicht abschrecken zu lassen?

Mittlerweile bin ich ja schon so ein bisschen Profi und stelle die richtigen Fragen, damit mich möglichst wenig Überraschungen erwarten. Weil ich eben so genau danach forsche, ist es inzwischen auch zu 99 % so, wie ich es erwarte. Aber ich war zum Beispiel mal in einem Hotel in Spanien, bei dem ich zuvor gefragt hatte, ob das Zimmer ebenerdig und mit dem Rollstuhl zugängig ist. „Ja“, aber als ich dann vor Ort war, musste ich feststellen, dass das Bad nur einen 50 Zentimeter breiten Durchgang hatte. Mein Rollstuhl hat aber 60 Zentimeter und ich kam gar nicht rein. Zum Glück hatten die dann aber noch ein Zimmer, in dem das Bad anders geschnitten war.

„Egal wo ich hinkomme, soll es hinterher ein bisschen barrierefreier sein. Es sind die vermeintlich kleinen Dinge, die dabei wichtig sind.“

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Die Teilhabe an Reisen und Outdoor-Aktivitäten ist für Menschen, die mit einer Behinderung leben, leider längst noch nicht selbstverständlich. Was wünschst du dir für die Zukunft?

Es wäre schön, wenn man Barrierefreiheit von vornherein berücksichtigt und das Angebot so noch deutlich größer wird. Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht, auf dessen Umsetzung Millionen Menschen seit Ewigkeiten warten. Es wäre von Vorteil, wenn es Gesetze zur Teilhabe gäbe, die neben öffentlichen Einrichtungen auch den privaten Sektor einschließen würden. Und auch die Informationen sollten noch klarer und selbstverständlicher kommuniziert und zugänglich sein, damit man eben nicht immer erst nachfragen muss. Je mehr wir darüber sprechen, je mehr wir anfragen und unsere Wünsche äußern, umso mehr kann das Thema ins Bewusstsein rücken. Das kann mit Kommunikation gelingen. Darum versuche ich auch möglichst viele Tipps weiterzugeben.

Egal wo ich hinkomme, soll es hinterher ein bisschen barrierefreier sein. Ein Tretmüllereimer im Bad, wie soll ich den öffnen? Oder der Spiegel hängt auf 1,50 Meter und ich kann mich darin nicht sehen. Dieses Feedback hilft den Unterkünften und es hilft eben auch den nächsten Reisegästen. Urlaub soll eine entspannte, angenehme Zeit sein. Es sind die vermeintlich kleinen Dinge, die dabei wichtig sind. Genau wie andere möchte ich an den Pool, zum Strand oder ins Meer. Es bringt nichts, an den schönsten Orten der Welt zu sein und dann kommst du beispielsweise nicht ins Wasser. Darum versuche ich, diese besonderen Schätze zu teilen und gleichzeitig sollen auch die Personen oder Anbietenden Anerkennung finden, die das Thema Barrierefreiheit bereits mitdenken und vor allem umsetzen.

Liebe Kim, vielen Dank für diese Einblicke und deine Tipps rund um barrierefreies Reisen. Viel Spaß bei deinen nächsten Abenteuern!

Auf ihrem Blog und auf Instagram findet ihr weitere Tipps und ganz viel Inspiration:

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