Musterpapiere aus Pflanzen- und Lebensmittelresten.
Menschen

Nicht von Pappe: 7 Fragen an Aline Hoffbauer

Rücksichtsvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen? Gerade in Sachen Papier geht da einiges, weiß Aline Hoffbauer, Diplom-Designerin und Gründerin des jungen Hamburger Unternehmens „Kiss My World“.

von Natascha Fouquet12.4.2024
Natascha interessiert, was Menschen bewegt. Das Unterwegssein bedeutet für sie: die Perspektive zu wechseln und niemals aufhören zu lernen.

Es war 2017, Weihnachten stand vor der Tür, und Aline Hoffbauer hatte gerade die Post aus dem Briefkasten geholt, als ihr ein feiner Duft nach frisch gemähter Sommerwiese in die Nase stieg. Im Winter? Irritiert öffnete sie einen Umschlag und stieß auf die Ursache: ein Musterbuch aus Graspapier. Für die Grafikdesignerin stand fest: Dies würde der „Stoff“ für die erste Kollektion ihres Papeterielabels „Kiss My World“ sein. 2018 wurde das Start-up mit dem Green Product Award ausgezeichnet.

01

Aline, warum geht Design für dich nicht mehr ohne Nachhaltigkeit?

Auf einem Cradle to Cradle-Kongress hatte ich mein Aha-Erlebnis: Die Möglichkeit, Verbrauchsgüter so zu gestalten, dass eine nahezu unendliche Zirkulation von Materialien in biologischen Kreisläufen möglich wird, hat für mich total Sinn ergeben. Nachdem ich dieses Wissen hatte, war für mich klar: Ich kann nicht mehr guten Gewissens Produkte gestalten, die nicht für den Kreislauf designt sind. Deshalb haben Transparenz und Nachhaltigkeit bei der Herstellung für uns heute auch absolute Priorität.

📓 Fakten-Check:

▷ Der Papierverbrauch liegt in Deutschland bei rund 240 kg pro Kopf und Jahr.

▷ Jeder fünfte gefällte Baum wird zu Papier verarbeitet.

▷ Der Zellstoff, der für die Papierproduktion in Deutschland benötigt wird, stammt aus Brasilien (1 Mio. t), Finnland (515.000 t), Schweden (471.000 t), Portugal (265.000 t), Spanien (265.000 t) sowie aus weiteren Ländern (620 t).

▷ Um eine Tonne Papier aus Frischfasern herzustellen, muss genauso viel Energie eingesetzt werden, wie für die Herstellung von einer Tonne Stahl. Dabei werden 6.000 bis 8.000 Liter Wasser benötigt.

02

Jetzt mal Butter bei die Fische: Ist die Produktion von herkömmlichem Papier denn tatsächlich ein relevanter Faktor in der Ökobilanz?

Definitiv! 2021 wurden in Deutschland 19 Mio. Tonnen Papier, Pappe und Karton verbraucht. Jeder fünfte gefällte Baum wird zu Papier verarbeitet. Hinzu kommen die oft langen Transportwege, und obwohl wir immer mehr zum „digitalen Büro“ tendieren, steigt der Papierverbrauch, weil der Versandhandel boomt, der sage und schreibe die Hälfte unseres Papierbedarfs ausmacht.

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Umweltschutzpapier kam Ende der 70er-Jahre auf. Offenbar noch nicht das Ende der Fahnenstange in Sachen Nachhaltigkeit?

Es gibt mittlerweile viele andere nachhaltige Alternativen. Zwar spart man bei der Herstellung von Recyclingpapier, das mit dem „Blauen Engel“ gekennzeichnet ist, etwa 70 % Wasser und 60 % Energie, und es wird auf bleichende Chemikalien oder Aufheller verzichtet. Das geht heute aber noch umweltfreundlicher.

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Durch die Verwendung von Holzalternativen wie Gras oder Zuckerrohr?

Zum Beispiel. Für das Graspapier ersetzen etwa 50 % Gras von heimischen Brachflächen die Holzfrischfasern. Im Vergleich zum Null-acht-fünfzehn-Papier wird gerade einmal ein Zehntel der Energie und statt der 6.000-8.000 Liter Wasser für eine Tonne Papier nur 2 Liter benötigt. Noch brauchen wir bei Graspapier einen Anteil holzbasierter Recycling- oder Frischfasern, damit es die nötige Stabilität erhält. Doch wird hier stetig weitergetüftelt, um in Zukunft auch dafür Alternativen zu finden.

Ein Notizbuch aus Kiwi-Resten.
Notizbücher aus Lebensmittelresten? Aber klar!Foto: Kiss my World
Die Leuchten des Designers Bernd Görtz.
Auch im Shop erhältlich: Die Leuchten des Designers Bernd Görtz.Foto: Kiss my World
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Zuckerrohr hat den Nachteil, dass er lange Transportwege zurücklegt. Weshalb passt es dennoch in euer Konzept?

Das große Plus: Für die Papierproduktion sind keinerlei holzbasierte Frischfasern, wenig Wasser und Energie nötig. Die Basis bildet Bagasse, ein Abfallprodukt, das bei der Zuckerproduktion anfällt und normalerweise verbrannt wird. Damit ist Zuckerrohrpapier perfekt fürs Recycling geeignet. Keine Frage, der Transport wirkt sich auf die CO2-Bilanz aus. Doch hält man sich vor Augen, dass fast ein Viertel des Zellstoffs, der für die herkömmliche Papierproduktion benötigt wird, aus Brasilien importiert wird, etwa 515.000 t aus Finnland und 471.000 t aus Schweden, stellt die Verwertung eines Abfallproduktes wie Bagasse die umweltverträglichere Alternative dar.

Der „Kiss My World“ Showroom:

Fühlen, schnuppern und kaufen kann man im Kreativhof am Moorburger Elbdeich 263 in Hamburg.

Öffnungszeiten: montags, dienstags und donnerstags von 10 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung

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Mittlerweile werden Papiere aus Gesteinsmehl, aus Hanf, Baumwolle und Wolle hergestellt. Wie unterscheiden sie sich in ihrer Haptik und Optik? Lassen sie sich wie herkömmliches Papier verwenden?

Nicht jedes Papier ist ein Allrounder. Entsprechend dem jeweiligen Rohstoff verfügt es über eine ganz eigene Farbigkeit und Struktur. Nehmen wir beispielsweise das Graspapier: Es hat einen schönen, erdig-grünlichen Farbton und eine recht grobe Struktur und eignet sich daher weniger als Kopier- oder Schreibpapier, aber hervorragend für Dokumentenmappen, Umschläge und Verpackungen. Das helle Zuckerrohrpapier wiederum lässt sich sehr gut als Schreibpapier verwenden. Außerdem entspricht eine Grammatur von 72 g der Haptik und Festigkeit von 80 g eines herkömmlichen Papiers, sodass sich der Einsatz von Rohstoffen deutlich reduziert. Papiere aus Baumwollresten oder aus Fasern von Schafwolle haben eine sehr weiche Haptik, sind aber gleichzeitig extrem widerstandsfähig und stabil. Steinpapier besteht zu 80 % aus Kalksteinmehl, das aus Abfallprodukten von Steinbrüchen gewonnen wird. Diesem werden Biokunststoffe beigefügt, die aus recycelten Plastikflaschen oder aus Zuckerrohrbestandteilen gewonnen werden. Das Ergebnis ist ein Papier, das wasser- und reißfest ist und somit sehr belastbar. Beim Recycling lassen sich Kunststoffkomponenten und Gesteinsmehl leicht trennen.

„Das Ziel von „Kiss My World“ ist es, möglichst vielen Menschen diese alternativen Papiersorten zugänglich zu machen und zu zeigen: Hey, es geht auch anders, dafür braucht es keine Bäume!“
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Dokumentenmappen, Schulhefte, Kalender, Schreibpapier und vieles mehr findet man in eurem Onlineshop. Mit welchen neuen Produkten und Materialien liebäugelst du?

Kaffeebohnenreste, Algen oder Kakaobohnen – mich fasziniert die Haptik und die besondere Optik dieser Papiere, die sich wunderbar für Notizhefte, Speisekarten, Briefpapier, Visitenkarten und vieles mehr einsetzen lassen. Im letzten Jahr haben wir die Leuchten des Designers Bernd Görtz in unser Programm aufgenommen. Die Papiere, aus denen sie hergestellt sind, enthalten beispielsweise Anteile aus Kaffeebohnen, Kiwi- oder auch Lederresten. Demnächst findet man in unserem Shop Produkte aus Silphie, einer Pflanze, die für die Biogasproduktion angebaut wird und im Sommer viele Insekten anzieht, also gut für den Erhalt der Biodiversität ist. Grundsätzlich dreht sich bei uns alles um schöne Papiere und Design. Ich bin immer auf der Suche nach Neuem. Das Ziel von „Kiss My World“ ist es, möglichst vielen Menschen diese alternativen Papiersorten zugänglich zu machen und zu zeigen: Hey, es geht auch anders, dafür braucht es keine Bäume!

Die Gründerin Aline Hoffbauer.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Aline!

Auf Instagram und auf der Website von „Kiss my World“ gibt es Neuigkeiten rund um das Label:

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