Eine Collage mit Olivia: Im Hintergrund sind Teilnehmer:innen eines Retreats zu sehen.
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Selbstfindung für Großstadtgeplagte: Olivia verrät, was Natur-Retreats so heilsam macht

Die systemische Naturtherapeutin Olivia Köhler bietet Einzelbegleitungen und Gruppen-Retreats im Ausland wie Griechenland und Ägypten an, aber auch in Brandenburg.

von Annalena Graudenz23.4.2024
Annalena Graudenz ist Lifestyle-Autorin und schreibt für diverse große Magazine. Für „Im Grünen“ entdeckt sie gern Ziele in Deutschland.

Die Natur wird hier vor allem als Heilraum verstanden, traditionelles Heilwissen wird mit zeitgenössischen Formen von Psychotherapie und Beratung verknüpft.

Olivia, als Kinder wurden wir zum Spielen an die frische Luft geschickt. Heute schauen wir aufs Wasser oder spazieren durch Parks und Wälder, um den Kopf freizubekommen. Warum sehnen wir uns offensichtlich so sehr nach Zeit in der Natur?

Du sagst es, wir sehnen uns ganz offensichtlich danach. Ich finde spannend zu beobachten, dass der Drang da ist, diese Sehnsucht, weil wir einfach wissen, dass es uns guttut. Es ist interessant, sich dem Ganzen geschichtlich zu nähern. Bevor das Christentum nach Europa kam, wurden die Naturgötter angebetet. Im Mittelalter entstanden dann viele düstere Geschichten rund um Dämonen und Fabelwesen, Geister und Hexen. Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich die Haltung der Deutschen wieder und es verstärkte sich die „Wald-Romantik“. Die geschichtliche Veränderung des Naturraums zu sehen, ist wahnsinnig spannend und erklärt diese tiefe Verankerung.

Auch Zimmerpflanzen erleben gerade einen echten Hype. Natürlich kein Vergleich zu einem Besuch im Wald, aber versteckt sich auch hier der Wunsch nach mehr Natur?

Ich erinnere mich gerade an eine Übung, die wir während Covid online angeboten haben. Man sollte mit einem Wesen draußen, sei es Pflanze oder Baum, Zeit verbringen. Manchen fiel es aus den verschiedensten Gründen aber vielleicht schwer, vor die Tür zu gehen, es hinderte sie irgendwas daran, dann konnte man die Übung auch mit einer Zimmerpflanze machen. Das sind genauso Wesen, natürlich nicht so wild wie die Pflanzen draußen, aber man kann natürlich auch Beziehungen zu ihnen aufbauen, wieso nicht.

Besitzt du selbst viele?

Ja, ich sage sehr stolz und selbstbewusst, dass ich einen grünen Daumen habe (lacht). Meine Wohnung ist voll mit Pflanzen.

Obwohl ich mitten in der Hamburger Innenstadt wohne, gucke ich von meinem Schreibtisch aus ins Grüne und finde es wahnsinnig entspannend, zwischendurch einfach mal den Blick schweifen zu lassen. Wieso tut uns die Natur so gut?

Diverse Studien belegen, dass der Aufenthalt in Naturräumen nicht nur kognitive Fähigkeiten und die Aufmerksamkeit positiv beeinflusst, sondern auch einen nachweislich positiven Effekt auf Emotionen und Psyche besitzt und das Stressempfinden von Menschen sinkt. Bei meinen Retreats baue ich darauf auf und gehe allerdings einen Schritt weiter: Die Natur wird vor allem als Heilraum verstanden und traditionelles Heilwissen wird mit zeitgenössischen Formen von Psychotherapie und Beratung verknüpft.

„Als Kind war ich viel allein und die Natur ein Ort, an dem ich Zugehörigkeit erfahren habe, ein geschützter Raum. Wenn du das nicht in deiner Familie erfährst, kann es sein, dass dir die Natur dieses Gefühl vermittelt.“

Du hast in Wien Wirtschaft studiert und arbeitest auch als Unternehmensberaterin. Heute bietest du Natur-Retreats an. Woher kommt dein Bezug zur Natur?

Als Kind war ich viel allein und die Natur ein Ort, an dem ich Zugehörigkeit erfahren habe, ein geschützter Raum. Wenn du das nicht in deiner Familie erfährst, kann es sein, dass dir die Natur dieses Gefühl vermittelt. Auch das Spielen und die Kreativität, die draußen möglich sind, haben mich früh fasziniert. Dieser Teil meiner Biografie bildet eine starke Grundlage für meine heutige Naturverbundenheit.

Von der Unternehmensberaterin zur systematischen Naturtherapeutin und Natur-Dialog-Begleiterin – wie sah dein Weg dorthin aus?

Ich habe zwar Wirtschaft studiert, eigentlich hat es mich aber immer schon in Richtung Psychologie gezogen. Ich dachte aber damals, dass BWL die vernünftigere Wahl sei. Im Studium habe ich Wirtschaftspsychologie als Schwerpunkt gewählt und später in meiner Tätigkeit als Unternehmensberaterin viele Workshops und Trainings zum Thema Unternehmenskultur konzipiert, in denen es um Menschen ging. Zuerst habe ich dann eine erste Naturtherapie-Ausbildung im Harz gemacht, das hat mir vermittelt, was alles möglich ist, von Pädagogik bis Spiritualität. Danach ist mir ein Buch von Habiba Kreszmeier in die Hände gefallen, sie ist die Begründerin der systemischen Naturtherapie und ich wusste: Das ist genau das Richtige für mich. Die Verbindung von Psychologie mit dem Draußen-Sein. Ich habe dann bei ihr meine Ausbildung in der Schweiz absolviert.

Und jetzt verbindest du die beiden Welten miteinander …

Genau, ich habe der Unternehmensberatung nicht den Rücken gekehrt, sondern bringe beide Welten zusammen. Ich biete zum Beispiel Firmen-Retreats an und gehe mit den Teams nach draußen. Da geht es dann sehr um das Menschliche, das Softe und die Natur ist ein toller Raum dafür.

„Meine Arbeit setzt da an, wo der Kopf schon verstanden hat, aber man Dinge auch verkörpern möchte. Oder wenn jemand feststeckt und eine Entscheidung fällen muss, aber nicht kann.“

Deine Retreats finden unter anderem rund um Brandenburg statt, aber auch in Ägypten und Griechenland. Was kann ich mir unter einer Naturtherapie vorstellen?

Es ist die Begleitung von einem Prozess. Das kann eine Einzelbegleitung sein, bei der ich mit einer Person raus in die Natur gehe. In dem Fall sehe ich die Stärke meiner Arbeit darin, dass ich eine andere Perspektive ermögliche. Die Leute, die zu mir kommen sind intelligent, können Sachen gut erfassen, beschäftigen sich über Plattformen wie Instagram mit Themen wie Psychologie, sind gewillt, an sich zu arbeiten, gehen vielleicht schon zur Therapie. Meine Arbeit setzt da an, wo der Kopf schon verstanden hat, aber man Dinge auch verkörpern möchte. Oder wenn jemand feststeckt und eine Entscheidung fällen muss, aber nicht kann. Durch meine Arbeit versuche ich das Wissen, das wir in uns haben, hervorzubringen.

Wie läuft so ein Retreat ab?

Meine Retreats gehen über drei, vier Tage, im Ausland bis zu einer Woche. In den Gruppen-Retreats trifft sich ein Kreis von Gleichgesinnten, es entsteht ein sicherer Raum, in dem die Teilnehmer:innen sich öffnen können und spüren, dass auch andere Probleme und Themen haben. Sie merken, dass sie nicht allein sind und das ist sehr heilsam. Ich mache oft eine Rückbindung zum Archaischen, also zu der Art, wie unsere Vorfahren gelebt haben. Wir machen Feuer und sitzen darum, wenn wir unsere Themen teilen. Das Feuer und die Bäume drum herum kann man als Ahnen bezeichnen, auch sie geben etwas in den Prozess. Durch das gemeinsame Kochen und Schlafen unter freiem Himmel passiert etwas in einem, was ich dann wieder aufgreifen kann.

Jetzt steht der Herbst vor der Tür und es wird kalt. Bietest du deine Retreats auch im Winter an?

Im Winter gehe ich in den Süden. Kolleginnen von mir machen das hier in Deutschland auch im Winter, aber ich als Naturtherapeutin bin gewissen Landschaften und Jahreszeiten näher und das sind definitiv die wärmeren. Auch der Wüste und dem Meer fühle ich mich sehr verbunden.

Für wen sind Natur-Retreats ratsam?

Einerseits Menschen mit einem konkreten Anliegen und das ist meist eine Krise, sei es der Tod von jemandem oder eine Trennung, die sich auch wie eine Art Tod anfühlen kann. Es kann sein, dass jemand einfach eine Unzufriedenheit spürt, im Leben, im Job, im Allgemeinen. Oft sind es auch Personen, die depressive Tendenzen haben, sich von ihrem Körper abgeschnitten fühlen. Oder jemand braucht einfach eine Auszeit, Burn-out ist ein Thema. Aber es muss auch nicht immer das Negative sein. Vielleicht hat jemand hart (an sich) gearbeitet und möchte sich selbst ein Geschenk machen und sich diese Pause gönnen.

„Diese kleinen Momente, Platz schaffen, Räume schaffen für das Verbundensein mit dem Draußen. Um es runter zu brechen: Verbindung, Erdung und Bewegung des Körpers, diese drei Aspekte helfen uns meist recht schnell.“

Das glaube ich. Im Yoga tut die Endentspannung, das Shavasana, ja auch immer wahnsinnig gut. Einfach auf dem Rücken liegen …

Genau, dieses „gehalten werden“. Zudem hilft es zu wissen, an welchen Orten man sich draußen zugehörig fühlt. Je öfter man dorthin geht, desto stärker baut man diese Beziehung aus. Bei mir ist es das Tempelhofer Feld in Berlin. Ich spaziere gern dorthin und gehe auch wirklich allein, weil man sich zu zweit schnell ablenken lässt. Aber auch eine kurze Pause am Fenster tut schon gut und einfach die frische Luft spüren, rausschauen – so wie bei dir auf die Bäume. Diese kleinen Momente, Platz schaffen, Räume schaffen für das Verbundensein mit dem Draußen. Um es runter zu brechen: Verbindung, Erdung und Bewegung des Körpers, diese drei Aspekte helfen uns meist recht schnell.

Vor allem in letzter Zeit sind wir permanent mit schrecklichen Nachrichten konfrontiert. Kannst du uns Tipps geben, wie wir in akuten Stressmomenten ein wenig Natur und somit Entspannung in unseren Alltag integrieren können?

Man kennt ja den Ausdruck, sich zu erden. Dabei geht es um das Element Erde, auf dem Boden zu sein, Stabilität. Ich arbeite viel mit den vier Elementen. Wenn Nachrichten auf uns einprasseln und wir in unserem Kopf feststecken, ist es umso wichtiger, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. Das kann ganz einfach ein Spaziergang sein, also in die Bewegung kommen, um aus dieser Starre zu finden. Selbst wenn man in der Stadt wohnt, hilft schon eine Runde um den Block. Man kann sich auch zu Hause auf den Boden legen, sowohl auf den Rücken als auch auf den Bauch. Spüren, wie es ist, wenn man gehalten wird. Eine meiner Lieblingsübungen. Super simpel, aber sehr effektiv.

Du hast die Elemente ja jetzt schon angesprochen. Hast du ein Lieblings-Element?

Ich bin sehr verbunden mit dem Feuer, dem Wasser und der Luft. Bei meiner Arbeit sehe ich, dass bei den meisten Menschen das Erdelement ein wenig vernachlässigt ist. Es gibt aber auch Personen, die super geerdet sind und dadurch meist eher zu starr. Wenn ich eines wählen muss, dann definitiv das Wasser.

Alles Gute für die Zukunft und vielen Dank für das Gespräch, liebe Olivia.

Hier findest du Olivia im Netz:

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